Feldpost im Zweiten Weltkrieg
 Start ❘  Kontakt, Kooperation & Impressum ❘  Häufig gestellte Fragen
 Feldpost ❘  Die Arbeit der Feldpost ❘  Zensur
 Literatur ❘  Werkstatt ❘  Ausgewählte Briefe ❘  Links
 Sammlungen und Archive ❘  Briefe an ein Archiv übergeben ❘  Tipps zum Aufbewahren
  » English 
Cover Schreiben im Krieg. Schreiben vom Krieg

Veit Didczuneit / Jens Ebert / Thomas Jander

"Schreiben im Krieg. Schreiben vom Krieg. Feldpost im Zeitalter der Weltkriege"

Einleitung

Obwohl die furchtbaren und weltverändernden Ereignisse der beiden Weltkriege mehr als 50 bzw. fast 100 Jahre zurückliegen, erfreut sich die Feldpost jener Jahre eines zunehmenden Interesses in den medialen Geschichtsdiskursen. Der Feldpostbrief bietet etwas, was Lageskizzen, Aufmarschpläne, Heeresbefehle, Kompanietagebücher, militärtheoretische Erörterungen u. ä. nicht leisten können. Er vermittelt die Alltagsgeschichte des Krieges, die individuelle Reflexion historischer Entscheidungen, das eigentliche "Leben" im Krieg, das nur allzu oft ein Sterben war. All dies sind Aspekte, die im Laufe des 20. Jahrhunderts aus den unterschiedlichsten Beweggründen immer mehr an Gewicht gewonnen, ein immer größeres Interesse bei breiten Schichten der Bevölkerung gefunden haben.

War Feldpost in den vergangenen Jahrhunderten zuerst nur als Dokument der gehobenen Stände, also von Offizieren oder Heerführern existent und von Belang, fand mit der Alphabetisierung auch die von Soldaten Eingang in Publikationen, wenn sie als Beispiel für die "vaterländische Gesinnung" des Volkes in nationale Zusammenhänge kommentierend eingeordnet werden konnte. Diese Briefe, falls überhaupt authentisch, wurden unzweifelhaft zumindest stilistisch bearbeitet. Während des Ersten Weltkrieges, der generell einen wesentlichen Anteil an der Durchsetzung des Briefes als Medium im privaten Verkehr hatte, kam es zu einem bis dahin ungekannten Umfang von Veröffentlichungen der Feldpostbriefe in Zeitungen und Zeitschriften. In der Weimarer Republik gab es ebenfalls ein breites Interesse an diesen Texten, das durch Sammelbände bedient, aber auch teilweise erst geweckt wurde. Am bekanntesten wohl der Band Kriegsbriefe gefallener Studenten (Witkop Phillip (Hg.): Kriegsbriefe gefallener Studenten. München 1928). An ihm lassen sich sinnfällig Grund und Zielrichtung solcher Publikationen festmachen. Sie dienten, sorgsam ausgewählt, vornehmlich der deutschnationalen Erziehung - oder Erbauung. Mit der tragischen Erinnerung an die Opfer des Ersten Weltkrieges wurde nicht zuletzt der Boden für den Zweiten bereitet.

Die Aufnahme von authentischen oder nur vorgeblich authentischen Feldpostbriefen durch den nationalsozialistischen Propagandaapparat bildete den Tiefpunkt in der Publikationsgeschichte dieser Quelle.

Nach dem Zweiten Weltkrieg erschien, wie nach dem Ersten, in der Bundesrepublik 1952 ein Band Kriegsbriefe gefallener Stundenten, mit ähnlicher ideologischer Ausrichtung (Bähr, Walter und Hans (Hg.). Kriegsbriefe gefallener Studenten. Tübingen, Stuttgart: Wunderlich, 1952). Nach 1945 spielten Feldpostbriefe in beiden deutschen Nachkriegsgesellschaften bei der Deutung des Erlebten wiederum eine bedeutende Rolle. Es ging um eine Selbstverständigung der Kriegsgeneration über das gemeinsam Erlebte und Erlittene, seltener um das Verübte. Zu Zeiten des Kalten Krieges wurden in Ost wie West ausgewählte Texte in den politischen Diskurs eingebaut.

Anfang der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts wurde die Feldpost als Quelle quasi wieder entdeckt (z. B. Sterz/Buchbender Das andere Gesicht des Krieges). Es gab den bemerkenswerten Neuansatz einer Geschichte "von unten". Erstmals sollten einfache Soldaten unverstellt und ernst genommen zu Wort kommen, sollte deren Erlebniswelt und Lebenswirklichkeit im Krieg untersucht werden. Dieser Neuansatz vollzog sich unabhängig, mit unterschiedlicher Intensität sowohl in Deutschland Ost wie West und markiert den Beginn wirklicher Feldpostforschung im wissenschaftlichen Sinne.

Das Museum für Kommunikation Berlin veranstaltete vom 13. bis 15. September 2010 eine internationale wissenschaftliche Konferenz, um den Stand der Forschung der vergangenen 25 Jahre, seit dem kultur- und mediengeschichtlichen Paradigmenwechsel in der Geschichtsschreibung zu den beiden Weltkriegen, und aktuellen Entwicklungen in der Feldpostforschung auszuloten. Die Konferenz war zugleich Rückschau und Ideenraum für Neuansätze. Im vorliegenden Band werden die Beiträge von ... Wissenschaftlern und Publizisten aus 10 Ländern dokumentiert.

Erwähnenswert ist der internationale Aspekt, der bislang in der Feldpostforschung unterrepräsentiert war. Haben doch auch die Kriege, deren Zeugnisse hier behandelt werden, viele Nationen mit Leid und Vernichtung überzogen. "Unten", wo das Leben konkret war, waren sich die Empfindungen der Armeeangehörigen feindlicher Nationen oftmals erstaunlich ähnlich, jenseits aller national-chauvinistischer Propaganda.

Wichtig ist auch, dass die Genderforschung, die die Rolle der Frauen, deren Erlebnisse und Erfahrungen, sowie deren Dokumente befragt, Eingang in die Feldpostforschung gefunden hat. Vom Anbeginn der Zeiten wurden Kriege nicht nur von Männern geführt, sondern auch beschrieben, erzählt und vermittelt. Der Krieg galt vielen schließlich als "Vater aller Dinge". Feldpostbriefe sind daher im allgemeinen Bewusstsein Briefe von Soldaten. Weibliche Stimmen gab es von der so genannten Heimatfront. Die Trennung der Erfahrungswelten "Front" und "Heimatfront" in fast allen Briefanthologien entspricht so nicht der Realität. Es gab sie vieltausendfach in den Kriegsjahren: Wehrmachts-, Marine- und Nachrichtenhelferinnen - und vor allem Krankenschwestern an der Front, in Hörweite der Geschütze.

Feldpostbriefe sind nur in den seltensten Fällen Dokumente, die für die Nachwelt oder die Öffentlichkeit geschrieben wurden. Und doch haben sie Nachwelt und Öffentlichkeit beschäftigt, wie kaum andere privat verfasste Texte. Sie sind von individuellen Mitteilungen zu medialen Botschaften geworden, aus denen wir heute lernen können. Das heißt aber, sie ernst zu nehmen in ihrer ganzen Problematik und sie nicht zu Illustrationen bereits feststehender Deutungsmuster zu machen, uns zu emanzipieren von vorgegebenen Lesarten.

Die in öffentlichen Archiven und privaten Räumen gesammelten Lebenszeugnisse sind Spuren von privaten Erlebnissen und Erfahrungen am Schnittpunkt mit weltgeschichtlichen Ereignissen. Wir begeben uns also auf Spurensuche, wenn wir Feldpostbriefe ins Licht der Öffentlichkeit rücken.